Wenn alte Jasmine wieder aufblühen
Wie können sie nur? Ich verstehe es nicht. Nach drei Wochen Planung sagen sie unser Treffen ab! Wie kann das meine Cousine nicht aufregen? Wie soll ich dafür Verständnis haben? Natürlich kann sie ruhig bleiben – sie wurde heute ja nicht von einer Lehrerin angeschrien oder musste eine einstündige Busfahrt hinter sich bringen, um hierher zu kommen. Ich verstehe nicht, wie frech man sein muss, ein Treffen eine Stunde vorher abzusagen. Sehe ich etwa so aus, als hätte ich nichts Besseres zu tun?
Die beruhigenden Worte meiner Cousine kühlen meine Wut kaum. Beschwichtigend schlägt sie vor, mit ihr nach Hause zu gehen und einen Film zu schauen. Ohne große Lust nicke ich und wir laufen los. Fünf Minuten nach unserer Ankunft bekomme ich einen Anruf. Es ist mein Vater. Er teilt mir mit, dass er mich doch nicht – wie versprochen – am Abend nach Hause fahren kann. Wir müssten bereits in einer halben Stunde los. Verzweifelt spüre ich Tränen in meinen Augen. Aber ich will nicht weinen – wie sollte ich das erklären? Es ist nicht eine bestimmte Sache, die mich stresst. Die Kombination aus allem bringt mich an meine Grenze.
Ich lasse mich in einen Stuhl sinken und beobachte meine Cousine, wie sie sich Parfum aufsprüht. Nach ein paar Sekunden nehme auch ich den Duft wahr.
Es ist Jasmin. Ja, Jasmin – genau wie ich ihn aus meiner Kindheit kenne. Schnell huscht ein leichtes Lächeln über mein Gesicht. Ich schaue meine Cousine an und frage: „Weißt du eigentlich, dass wir früher einen Jasminbaum im Garten hatten?“ Sie lacht und sagt: „Ich weiß nicht, ob dir das bewusst ist, aber ich war schon immer deine Cousine. Wir haben schließlich im selben Haus gewohnt.“ Ein kurzes „Stimmt“ und lautes Gelächter lockern die Stimmung sofort.
„Weißt du noch, wie wir damals Ketten aus den Jasminblüten gemacht haben?“, fragt sie.
„Na klar! Und ich habe nicht vergessen, dass du mir mal meine Kette geklaut hast“, antworte ich.
Plötzlich bin ich wieder fünf Jahre alt. In meinem Kopf laufen Erinnerungen wie ein alter Film ab.
„Geklaut? Das ist harmlos im Vergleich zu dem, was du mir damals alles angetan hast“, entgegnet sie.
Wir sind ganz in unserer kleinen Welt und verteidigen unsere kindlichen Versionen voreinander.
„Abgesehen von der Tatsache, dass du eine Kettendiebin bist, muss ich sagen: Das waren schöne Tage. Wir waren so naiv“, sage ich.
„Wir hatten keine Sorgen“, füge ich hinzu.
Eine kurze Stille lässt mich über meine Worte nachdenken.
„Keine Sorgen, sagst du? Und in welche Kategorie würdest du dann Kriege einordnen?“, fragt sie mit einem schiefen Lächeln.
„Glaubst du, wir haben uns verändert? Sind wir nicht mehr so lebensfroh wie früher?“
„Nein, glaube ich nicht. Du klaust mir ja immer noch meine Ketten“, erwidere ich selbstbewusst.
Wir lachen – wahrscheinlich mit denselben alten Bildern im Kopf. Dann klingelt mein Handy. Es ist mein Vater, der schon vor der Tür wartet.
Im Aufzug werfe ich einen Blick in den Spiegel und sehe für einen Moment das kleine, freche, und trotz allem lächelnde Mädchen in mir – Dana. Ich sehe sie an und verspreche ihr leise, mich immer an den Duft von Jasmin zu erinnern, wenn das Leben aus dem Gleichgewicht gerät. Ich verspreche ihr, wieder auf die kleinen Dinge zu achten.
von Dana Shennar