Als diesjährige Zehntklässlerin hatte ich in der Woche vom 16.10. bis zum 20. 10. den Auftrag, das obige Konzept zu erleben. Die Bewerbungsphase erwies sich teilweise als äußerst herausfordernd. Während manche Glückspilze sich gemütlich im geborgenen Bekanntschaftsstrom treiben ließen, ganz nach dem Motto: BOGY? - Bei Onkel Gerald yo, haderten einige, zu denen bedauerlicherweise auch ich gehörte, mit Bergen an Bürokratie sowie vielzähligen Vorstellungsgesprächen, die nichtsdestotrotz in ständigen, aber immerhin schön verpackten Absagen resultierten. Jedoch spätestens, nachdem diese Hürde geschafft war und ein Praktikumsplatz sicher in der Mailbox gelegen war, freuten sich alle auf eine Woche schulfrei und auf den, zumindest aus der damaligen Perspektive, easy Alltag im Job.
Mir persönlich wurde die Kluft zwischen unserer Vorstellung und der Realität dann relativ abrupt klar, als mich der erste 10-stündige Arbeitstag voller anstrengender Klienten sowie der recht überfordernden Ansprüche anstürmte. Obwohl ich enorm dankbar dafür bin, nicht als Laie in eine Ecke hingestellt und zum bloßen Beobachten verdammt worden zu sein, zerrten mich gewisse Schritte weiter aus meiner Komfortzone, als ich es davor zu glauben vermochte. Ebenfalls erstaunt war ich von der Arbeitsatmosphäre, welche doch sehr von der Schulischen abweicht. Das Niveau der Konzentration, die Ernsthaftigkeit untermalt mit ständiger Freundlichkeit, sowie die unermüdliche Professionalität - alles hatte einen seriösen und mir in der Tat fremden Charakter. Somit sind die kleinen Privilegien, in deren Gunst wir stehen, für mich begreifbarer, wie die Freiheit, auch mal unbemerkt für fünf Minuten außerhalb der Pause abzuschalten oder eine Arbeit zu verbocken, ohne dass die Konsequenzen allzu dramatisch sind. Womöglich finde ich dadurch sogar mehr Gefallen am Schülerdasein.
Zurück im Klassenzimmer gingen die Berufseindrücke weit auseinander. Während einige es kaum erwarten konnten, ihre Bestimmung zu erfüllen, verschwand für andere die rosarote Brille und an ihre Stelle trat Erleichterung über die frühzeitige Einsicht, aus der sich Zeit zum Umdenken ergibt. So oder so konnten alle übereinstimmend einen Mehrwert daraus ziehen.
Den deutschen Schulen wird häufig vorgeworfen, praxisfern zu sein und stattdessen den Erwerb von scheinbar abstraktem Wissen in den Fokus zu stellen. An diesem Punkt sei erwähnt, dass die Aneignung der Hochschulzugangsberechtigung als Grundintention eines allgemeinbildenden Gymnasiums systemimmanent ist. Dafür gibt es gewisse andere Schulformen, welche der berufsspezifischen Zielvorstellung eher entsprechen. Auch wenn ein Praktikum keineswegs den Vorwurf komplett zurückweisen kann, so verifiziert er die, zwar gelegentlichen, aber trotzdem vorhandenen, Erfrischungen im wahrhaftig sachlichen Schulalltag. Resümierend kann ich festhalten, dass solch ein Veranstaltungsangebot junge Menschen direkt in die Gesellschaft einbindet, ihnen die Realität vermittelt, sowie den Anreiz zur Innovation schafft, wodurch er für mich durchaus eine Brücke zu der sonst so abgelegenen Praxis herstellt. Zudem profitiert man hierbei auch von der Weiterentwicklung der Soft Skills wie beispielsweise Integrationsvermögen, Explorationsverhalten oder Kritikfähigkeit, welche in diversen Bereichen erforderlich sind. Ebenfalls hilfreich, obzwar nicht als Allgemeinbildung standardisiert, ist die Vorbereitung auf die Kandidatur für eine Stelle, welche wir durch diese Erfahrung wortwörtlich interaktiv erlernt haben. Dahingehend wäre der Verzicht auf dieses Format folgenschwer, da uns vorbehalten bliebe, unsere Prädestinationen zu verorten, das Berufsfeld, von dem wir fasziniert sind, zu erkunden, und ein wichtiges Kapitel zu verstehen, das in keinem Buch besser geschrieben steht.
Als letzten Kraftakt galt es, den berühmt-berüchtigten Bericht zu schreiben und ihn Frau Kern als Weihnachtsgeschenk zu übergeben. Ungeachtet welche Bewertung sich daraus auch herleitet, die Bereicherung dieser Lehre sprengt jegliche Notenskalas.